Trollforschung bei der re:publica

Sascha Lobos Zugang zur sozialen Störkommunikation ist bekanntlich durch mehrjährige persönliche Betrolltheit geprägt. Bei vielen „klingelt“ es bestimmt beim virtuellen Aggressionspotential und dem adoleszenten Fototermin zu nächtlicher Stunde. Möglicherweise führt ihn dieses dreckerdige Erlebnis zu einer naturalistischen Trolltheorie, dem Internet als Ökosystem. Doch bevor es ans fressen und gefressen werden simulierender Löwenkinder ging, musste aufgekocht werden.

Aufkochen kann Lobo super. „Jüngste Erkenntnisse der Trollforschung“ war das inoffizielle Meditationsforum der re:publica 2011. Klar, das Thema allein zog sie nicht. Die Masse der Blogger mit ihren „1500 Deppen-Followern“ freute sich aufs trollige an der überreichen Präsenzprominenz des Sascha Lobo. Womit der Aufmacher von Lobo schon mit dem Schwanz wackelt – das Versagen der Internetszene, die sich zu sehr an den Lulz erfreut und zu wenig am Outrage teilhat. Journalisten aus den „erwachsenen Medien“ rufen zu 90 Prozent der Fälle ihn an, wenn sich das redaktionelle Brainstorming unter der Duschbrause zum http-Thema der nächsten Talkshow mal wieder aufgehängt hat. „Weil ihr nervt“ und er nicht der Fun-Onkel bleibt, wollte Lobo die Predigt nicht unterhaltend sein lassen, wenn auch pöbelnd. Nervend, weil die Vertreter des Netz „zu doof oder zu leise“ sind, nur reagieren auf gesellschaftliche Widerstände und überhaupt – ein übergeordnetes Konzept der digitalen Gesellschaft fehle. Bürgerdemokratischer Netzaktivismus, wie gegen die Netzsperren, sei bisher nur Zufall gewesen.

Serviert hat Lobo auf der re:publica die These, dass die treibende Kraft zur Veränderung der Gesellschaft, der Durchsetzung politischer Forderung, die Trolle sind. Trolle wird es irgendwie immer geben. Denn jeder hat zu einer bestimmten Tageszeit, abhängig vom Medium und des Alkohol- und Koffeinpegels, Trollblut in sich.

Lobo fand in der Feldforschung heraus, sozusagen in den divs der Kommentare unter den Beiträgen auf seinem Blog, dass der Troll sich provoziert fühlt, wenn auch aus „idiotischen Gründen“ und aus einer virtuellen Wir-Perspektive spricht bzw. diese herzustellen versucht. Die Umkehrung der klassischen Mythen von Ich-Zentriertheit und Provokation. Die Trolltheorie selbst spielt sich im Ökosystem Internet ab, in dem eher lahme Konsumenten, bedenkenlose Produzenten und hässliche Destruenten vorkommen. Denen kommt aber eine evolutionäre Aufgabe zu. Ein gemeinsamer Feind stärke die angegriffene Gruppe und hilft den Fokus auf Sicherheit zu legen. Kurz: trollen ist nicht negativ, sondern hat eine gesellschaftliche Funktion. Eine evolutionäre gesellschaftliche Funktion, da der Troll nur durchspiele, was ein Gedanke auslöse, bedeute – ein Gedankendarwinismus sozusagen. Trollen ist ein Spiel. Ein „wahnsinnig lustiges Spiel“.

Den Gegenpol zu dieser Sichtweise lieferte übrigens am Vormittag der Vortrag „Geek Politics and Anonymous“ von Gabriella Colemann. Ihre eher idealistisch geprägte Sicht auf die Transformation vom Prank zum Protest war ebenso sehenswert. Ein Vortrag, für welchen man die re:publica besucht. Die ZEIT hat dazu einen Artikel: Aus dummen Streichen wird eine politische Idee.